für die Schöpfung und Entwicklung des heute international sogenannten „World Wide Web“.
Das World Wide Web: Ein sehr kurzer persönlicher Rückblick
Es galt immer schon als ausgemacht, daß bestimmte Aufgaben am besten von Menschen und andere Aufgaben am besten von Computern zu erledigen sind, und daß es zwischen diesen beiden Bereichen wenige Überschneidungen gibt. Mit dieser Unterscheidung bin ich in den 50er und 60er Jahren groß geworden. Ihr zufolge waren Intuition und Verstehen menschliche Eigenschaften, Computer aber beschränkten sich darauf Tabellen und Hierarchien abzuarbeiten.
Was die Computer in Unternehmen jedoch nicht konnten, war das Speichern wahlfreier Verknüpfungen zwischen disparaten Dingen – ganz im Gegensatz zum menschlichen Gehirn, das damit noch nie Schwierigkeiten hatte. Bereits 1980 befaßte ich mich (damals noch eher spielerisch) mit Programmen zum Speichern von wahlfrei verknüpften Informationen. Im Jahre 1989 während meiner Tätigkeit am Europäischen Labor für Hochenergiephysik schlug ich die Schaffung eines globalen Hypertextraums vor, in dem man mit einern eindeutigen „Universal Document Identifier“ auf jede beliebige Information verweisen konnte, sofern sie über das Netzwerk zugänglich war. Nachdem mir mein Vorgesetzter Mike Sendall grünes Licht zum Experimentieren gab, schrieb ich 1990 ein Programm namens „World Wide Web“. Es war ein Hypertexteditor mit grafischer Benutzeroberfläche, der auf NeXT-Computern lief. Dieses Programm stellte ich zusammen mit dem ersten Web-Server zuerst den Teilchenphysikern vor, ab Sommer 1991 dann auch den Benutzern von NeXT. Daneben stand ein befehlszeilenorientierter Browser – eine studentische Arbeit von Nicola Pellow – zur Verfügung, der auf nahezu jedem Computer lauffähig war. Die Spezifikationen der UDls (heute URLs), der HyperText Markup Language (HTML) und des HyperText Transfer Protokolls (HTTP) wurden auf dem ersten Server veröffentlicht, um eine möglichst breite Akzeptanz und Diskussion zu fördern.
Grundlage für das WWW ist die Vision eines gemeinsamen Informationsraumes, in den wir durch den Austausch von Informationen miteinander kommunizieren. Wesensmerkmal dieses Raumes ist die Universalität: eine Hypertext-Verknüpfung kann überall hin verweisen, auf etwas persönliches ebenso wie etwas lokales oder globales, auf eine kurze Notiz oder auf ein sorgfältig redigiertes Werk. Die Vision hatte auch einen zweiten Teil: Wenn das WWW allgemein genutzt wird, könnte es zu einem realistischen Spiegel (oder sogar zur primären Verkörperung) unserer Arbeitswelt und unseres sozialen Lebens werden. Der Stand unserer Interaktionen wäre dann „online“, wir- könnten mit Hilfe der Computer analysieren und bewerten, was wir tun, wie wir unsere Rolle dabei sehen, und Wege finden, um besser zusammen zu arbeiten.
Die ersten drei Jahre waren eine Phase der Missionierung für die Idee des World Wide Web, bei der mich mein Kollege und erster Konvertit Robert Cailliau unterstützte. Wir brauchten Web-Clients für andere Plattforlllen (denn die NeXT war nicht überall zu finden). Nach und nach erschienen die Browser-Programme Erwise, Viola, Cello und Mosaic. Wir brauchten Server, die als Beispiele und Vorbilder dienten. Uberall auf der Welt fanden sich Enthusiasten, die eigene Beiträige schufen.
Von Sommer 1991 bis Sommer 1994 verzehnfachte sich jedes Jahr das Volumen auf dem ersten Web-Server („info.cern.ch“). In universitären Kreisen wurde man 1992 auf uns aufmerksam, gefolgt von der Industrie im Jahre 1993. Auf mir lastete der Druck, die weitere Entwicklung zu definieren. Nach vielen Diskussionen entschloß ich mich im Septetnber 1994 zur Gründung des World Wide Web Consortium, das neben dem Gründungsort am MIT in den USA, am INRIA in Frankreich und inzwischen auch an der Keio-Universität in Japan vertreten ist. Das Consortium ist ein neutrales offenes Forum. Hier treffen Unternehmen und Organisationen zusammen, denen die Zukunft des WWW wichtig ist, um neue gemeinsame Computer-Protokolle zu besprechen und zu vereinbaren. Das Consortium ist ein Zentrum, in dem Fragen aufgeworfen, Entwicklungen geplant, und einstimmige Entscheidungen getroffen werden. Außerdem bietet sich von hier aus die hervorragende Gelegenheit, diese Entwicklung zu beobachten.
Der dramatische Zufluß von reichhaltigem Material aus allen Gebieten ins WWW in den 90er Jahren hat den ersten Teil der Vision weitgehend Wirklichkeit werden lassen, auch wenn bisher nur wenige Menschen mit intuitiv benutzbaren Werkzeugen selbst Hypertexte erstellen. Der zweite Teil harrt noch der Verwirklichung, doch gibt es Anzeichen und Pläne, die uns Zuversicht einflößen. Es gibt eine immer größere Nachfrage nach Informationen, die uns dabei helfen, Informationen zu klassifizieren, zu sortieren, zu bezahlen, zu besitzen. Diese Nachfrage dient als Motor für die Entwicklung von Sprachen für das WWW, die nicht durch Menschen, sondern durch Maschinen verarbeitet werden. Das Netz der von Menschen lesbaren Dokumente wird eins mit dem Netz der für Maschinen verständlichen Daten. In der Kombination von Mensch und Maschine, die über das Web zusammenarbeiten und kommunizieren, steckt ein riesiges Potential an Entwicklungsmöglichkeiten.
Tim Berners-Lee, LCS / MIT