Für die Erfindung des reaktiven Ionentiefenätzens (Bosch Prozess), ein Schlüsselprozess zur Herstellung von Halbleitersensoren
Sensoren sind so etwas wie die Sinnesorgane unserer Maschinen und technischen Systeme. Sie sind schon heute überall zu finden, in Autos, in Mobiltelefonen, und vielen Gegenständen unseres täglichen Lebens. Im Kontext der Megatrends IoT (Internet of Things) und KI (Künstliche Intelligenz) wird die Bedeutung von Sensoren nochmals eine neue Dimension erreichen. Denn ohne die kleinen elektronischen Helfer ist auch keine Intelligenz von Dingen möglich. Der Bedarf an Sensorik wird künftig noch rapide steigen und dabei werden sich die Hersteller mit der Herausforderung konfrontiert sehen, einen sehr dynamischen Markt bedienen zu müssen: Neue Anwendungen erfordern immer spezifischere, oft komplexe und gleichzeitig kostengünstige Sensorik, und das in hohen Volumina. Die beiden diesjährigen Preisträger, Andrea Urban und Franz Laermer, haben mit der Erfindung des reaktiven Ionentiefätzens dafür bereits in den 90er Jahren eine entscheidende Grundlage geschaffen.
Viele der Sensoren werden heute durch moderne Halbleiterfertigungsverfahren in Höchstvolumina hergestellt. Die Halbleiterfertigung für Sensoren ist nicht neu, bereits seit den 70er Jahren werden Drucksensoren aus Silizium gefertigt. In den 90er Jahren kamen dann Beschleunigungs- und Drehratensensoren dazu. Bei dieser Art der Sensoren werden Signale mechanisch aufgenommen und in elektrische Signale umgewandelt und digitalisiert. Die Verbindung von kleinsten Mechanik- und Elektroniksystemen heißt in der Fachwelt „Mikrosystemtechnik“ (engl. MEMS). Typische Abmessungen der mechanischen Bauteile liegen dabei im Bereich von Mikrometern, das entspricht dem Fünfzigstel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Die Herstellung der präzisen mechanischen Bauteile ist für die Sensorfunktion sehr wichtig und war lange Zeit nur eingeschränkt möglich. Bis Anfang der 90er Jahre konnten kleinste mechanische Strukturen durch die Abscheidung von dünnen Schichten zwar sehr gut in der Höhe definiert werden. Die laterale Strukturierung war indes schwierig, da die bis dato bekannten Ätzverfahren vor allem ungerichtet waren, also nicht senkrecht nach unten, sondern in alle Richtungen gewirkt haben.
Der Durchbruch kam, als Andrea Urban (geb. Schlip) und Franz Laermer das reaktive Ionentiefätzen erfanden. Der Clou der beiden Forschenden: Sie spalteten die Strukturierung in viele kleine Teilschritte auf und erweiterten so die Möglichkeiten der Strukturierung entscheidend. Zunächst findet ein erster kleiner Ätzschritt statt, der senkrecht nach unten, aber auch lateral wirkt und damit eine kleine Ätzgrube erzeugt. Danach erfolgt eine Passivierung, die die Wände vor der nächsten Ätzung schützen. Der nächste Ätzschritt durchbricht die Passivierung, was aufgrund der gerichteten reaktiven Ätzionen zuerst am Boden der Ätzmulde stattfindet. Nun wird sofort wieder passiviert und erneut geätzt. Da der Durchbruch der Passivierung immer zuerst am Boden der Ätzstelle stattfindet, ergibt sich als Ergebnis eine gerichtete Ätzung senkrecht nach unten in das Halbleitermaterial. Auf diese Weise können nach vielen kleinen Teilschritten in Summe senkrechte Wände erzeugt werden. Der Begriff „Wände“ suggeriert große Dimensionen und ist damit irreführend, denn die typischen Abmessungen betragen nur wenige Mikrometer.
Dank des neuen Verfahrens können filigrane mechanische Strukturen, wie sie beispielsweise für Druck-, Beschleunigungs- und Drehratensensoren benötigt werden, wesentlich präziser und kostengünstiger hergestellt werden als bisher. In den 90er Jahren setzte diese „Revolution im µ-Bereich“ in der Automobilbranche neue Standards: ESP und Antiblockiermechanismen waren nicht länger nur der PKW-Luxusklasse vorbehalten. Die Automobilindustrie sollte nicht der einzige Massenmarkt bleiben – heute sorgt etwa der so genannte „9 DOF (9 degrees of freedom) Sensor“ in unseren Smartphones für mehr Nutzerkomfort, indem sich beispielsweise der Bildschirm automatisch an unsere eigene Position anpasst. 9 DOF kombiniert dazu Beschleunigungs-, Drehraten- und Magnetsensorik hochintegriert in einem Gehäuse. Auch die hochpräzisen Mikrofone der Smartphones sind Halbleiter-Mikrosysteme und werden mit dem reaktiven Ionentiefätz-Prozess gefertigt. Und wenn wir uns künftig verstärkt in virtuellen Welten bewegen, haben wir verblüffend realitätsnahe Eindrücke auch dem reaktiven Ionentiefätzen mit zu verdanken.
Das Verfahren, heute Bosch-Prozess genannt, ist ein entscheidender Schlüsselprozess für die Fertigung von Halbleiter-Mikrosystemen. Bosch ist bei Halbleitersensoren und Mikrosystemen Weltmarkführer: Das Unternehmen hat seit 1995 über 10 Milliarden MEMS-Sensoren hergestellt und baut gerade eine neue Halbleiterfabrik für Mikrosysteme in Dresden.
Der Bosch-Prozess hat die industrielle Sensorherstellung revolutioniert. Umso beeindruckter ist man von der bedächtigen und bescheidenen Art der beiden Gesichter hinter der Innovation. Andrea Urban und Franz Laermer würden selbst wohl nicht das Wort „Revolution“ in den Mund nehmen. Sie hatten ein Problem erkannt und dann eben mit systematischer und beharrlicher Arbeit eine Lösung dafür entwickelt – eine Lösung freilich, die schon damals einen entscheidenden Grundstein für die technologischen Visionen von morgen gelegt hat: Das reaktive Ionentiefätzen ist definitiv einer der Türöffner für das Internet der Dinge – IoT.
Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kutter, Fraunhofer EMFT, Universität der Bundeswehr