Für bahnbrechende Beiträge zum autonomen Fahren
Über Jahrhunderte hinweg benutzte der Mensch Tiere für die Fortbewegung über größere Distanzen. Diese sorgten meistens für eine sichere, kollisionsfreie Fortbewegung. Die Erfindung des Automobils im ausgehenden 19. Jahrhundert führte zu höheren Geschwindigkeiten, erforderte aber zugleich, dass der Fahrer sein Automobil so steuert, dass es auf der Straße bleibt und mit keinem anderen Verkehrsteilnehmer kollidiert. Die Vorstellung, dass sich Automobile einmal selbst steuern würden war praktisch ein Jahrhundert lang bestenfalls der „Science Fiction“ überlassen.
In den siebziger Jahren kam es zu verschiedenen Überlegungen, inklusive der Option Induktionsschleifen in den Straßen zu verbauen. Menschliche Fahrer sind seit jeher mit Ihrem Sehsinn sehr erfolgreich. Diese Erkenntnis war für Professor Dickmanns Vorbild als er sich ab 1975 vornahm, das „Rechnersehen“ zu entwickeln und es für autonomes Fahren einzusetzen. Er hatte an der RWTH-Aachen Luft- und Raumfahrt studiert und dann in verschiedenen Positionen am DFVLR, dem heutigen Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), gewirkt. In dieser Zeit besuchte er renommierte Institutionen in den USA, wie die Universität Princeton und die NASA in Huntsville. Ab 1974 leitete er das Forschungszentrum der DFVLR in Oberpfaffenhofen und kam mit dem digitalen Prozessieren von Erdbeobachtungsbildern in Berührung. Die Verarbeitung solcher Bilder brauchte manchmal Stunden auf Großrechnern. 1975 wurde Dickmanns auf den Lehrstuhl für Regelungstechnik an die Universität der Bundeswehr berufen.
Fast zeitgleich, nämlich im Jahr 1972, waren in den USA am MIT und am CalTech die ersten Digitalkameras gebaut worden. GPS sollte erst sehr viel später, nämlich 1995, in den regulären Betrieb gehen. Auch Signalprozessoren wurden in den siebziger Jahren entwickelt. Dickmanns verstand, dass bei den damaligen Fortschritten die Leistungsfähigkeit von Signalprozessoren um einen Faktor eine Million in ca. zweieinhalb Dekaden steigen würde. Was damals eine Stunde dauerte, würde somit bald in 3.6 Millisekunden gerechnet werden. Mit seiner Berufungszusage baute er einen „Hardware in the Loop“ Simulator für Rechnersehen in Echtzeit. Das sollte sich als wichtiges Instrument erweisen. Eine schnelle Kameranachführung, gestützt auf Drehratenmessungen, erlaubte es die Auflösung im Interessensgebiet zu erhöhen. In vereinfachten Szenen erreichte sein System „Echtzeit“ (100 ms). Die visuelle Stabilisierung eines stehenden Pendels war die erste Anwendung des neuen Ansatzes.
Nach Erfolgen am Pendel wagte es sich an das autonome Fahren heran. Das „Vehicle for autonomous Mobility and Rechnersehen“ (VaMoRs), ein Mercedes Lieferwagen, wurde zum neuen Versuchsträger. Eine deutsche Autobahn stellte auf Grund des recht einfachen Umgebungsmusters eine perfekte Versuchsstrecke dar. Ein 20 km langes Autobahnstück, das dem Verkehr noch nicht übergeben worden war, wurde zur Versuchsstrecke. VaMoRs fuhr die Strecke mit Höchstgeschwindigkeit (96 km/h) und ohne Fahrereingriff ab. Das war eine Sensation! Prof. Dickmanns durfte bei Mercedes dem Technikvorstand vortragen, was zu einer langjährigen Kooperation führte. In der Folge entwickelte er zahlreiche weitere Elemente, die heute alle zum Stand der Technik beim autonomen Fahren gehören.
Im europäischen Projekt PROMETHEUS sollte der nächste Meilenstein erreicht werden. Bei der Abschlussveranstaltung fuhren zwei Mercedes 500-SEL mit 130 km/h im normalen Verkehr über die französische Autobahn A1, hielten Abstand zu anderen Fahrzeugen, trafen autonome Spurwechselentscheidungen und führten diese nach Genehmigung auch durch. Die zentralen Komponenten hierzu stammten von Prof. Dickmanns und seinem Team.
Im Jahr 1995 folgte dann eine Fahrt von München nach Kopenhagen. Die Strecke wurde zu 95% ohne Intervention des Fahrers gefahren. Ab 1997 führten die Erfolge auch zu einer Zusammenarbeit des Amerikanischen und Deutschen Verteidigungsministeriums und zur Entwicklung einer neuen Generation des Dickmannschen Rechnersehens. Die Ergebnisse veranlassten 2001 den amerikanischen Kongresses sich dafür zu entscheiden, bis 2015 Teile des Landverkehrs autonom fahren zu lassen und zwei Preise auszuschreiben, den „Grand Challenges“ 2004/2005 sowie den „Urban Challenge“ 2007. Diese Preise trugen zur Beschleunigung der weiteren Entwicklung bei.
Entscheidende Elemente und Verfahren, die zum heutigen autonomen Fahren führten, wurden von Prof. Dickmanns entwickelt. Die Tragweite seiner Arbeiten kann gar nicht überschätzt werden. Autonomes Fahren wird die Zahl der Unfälle reduzieren und die Mobilität der Menschen in unserer alternden Gesellschaft erhalten. Sie hat zudem das Potential, die Innenstädte von parkenden Autos zu befreien und diese Flächen den Menschen zurückzugeben. Für seine herausragende Rolle in der Entwicklung des autonomen Fahrens wird Prof. Dickmanns am 14. Oktober 2017 mit dem Eduard-Rhein-Technologiepreis im Ehrensaal des Deutschen Museums geehrt.
Prof. Dr. Christoph Günther