für die Konzeption und Durchsetzung der MPEG-Standards zur Kodierung von Bewegtbild- und Tonsignalen, hier insbesondere des weltweit beachteten digitalen Fernsehstandards MPEG-2.
Bewegtbildkodierung und die Geburt von MPEG
Ein wichtiger Schritt in der Evolution der Kommunikationstechnik erreicht den Konsumbereich. Audiovisuelle Systeme wie Fernsehen, Internetanwendungen, digitale Speichermedien etc. nutzen zur Kodierung der Quellensignale zunehmend digitale Kodierungstechniken nach MPEG (Motion Pictures Experts Group). Diese MPEG-Standards wurden unter dem Dach von ISO/IEC (International Standardisation Organisation/International Electrotechnical Commission) erarbeitet und legen für verschiedene anwendungsbereiche sehr effiziente Techniken zur Kodierung von Ton- und Bildsignalen mit hoher Datenreduktion fest.
Die Standards werden weltweit beachtet. Verabschiedet sind bisher:
MPEG-1: Speicheranwendungen wie z.B. CD, l,5 MB/s, progressive Abtastung
MPEG-2: Fernseh- und HDTV-Anwendungen, mit und ohne Zeilensprung
MPEG-4: Internet- und Virtual Reality-Anwendungen
Noch in der Diskussion befindet sich der MPEG-7-Standard für multimediale Anwendungen.
Diese Standards sind eine wichtige Grundlage für digitale audiovisuelle Systeme wie beispielsweise das digitale Fernsehen. Sie bilden die Basis für eine systemübergreifende Komunikation insbesondere bei zukünftigen Multimediaanwendungen. Erst durch die Standards wird die preiswerte Massenproduktion von komplexen Empfangsdekodern zum Beispiel für digitale Fernsehempfänger möglich.
Ohne MPEG gäbe es kein digitales Fernsehen. Ohne Leonardo Chiariglione gäbe es kein MPEG. Beeindruckt von der Standardisierungsarbeit für die Kodierung von Einzelbildern der Joint Pictures Experts Group (JPEG) unter der Leitung seines ehemaligen Tokioter Studienkollegen Hiroshi Jasuda gründete der sprachbegabte Humanist und Weltbürger Chiariglione 1988 ebenfalls unter dem Dach von ISO/IEC die MPEG-Gruppe. Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit und Durchsetzungskraft führte er Experten auf dem Gebiet der Bewegtbildkodierung aus den nachrichtentechnischen Labors der Welt zusammen und schuf mit ihnen in den 90er Jahren die MPEG-Standards. In vielen Sitzungen kämpfen international renommierte Experten miteinander und mit Chiariglione um das jeweils beste Konzept. Dabei schlug -so ein Sitzungsteilnehmer – Chiariglione die Köpfe solange aneinander, bis der neue Standard fertig war. Nichts und niemand konnte ihn dabei aufhalten. Er folgte seinem Leitsatz „ein audiovisuelles System für die ganze Welt – denn überall haben die Menschen gleiche Augen und Ohren“. Einerseits entstanden durch die Beteiligung von Arbeitsgruppen aus aller Welt technisch hervorragende Vorschläge. Andererseits
ergab sich aus der internationalen Beteiligung eine gute Akzeptanz für die so geschaffenen Standards, so daß firmenspezifische Lösungen weitgehend vermieden werden konnten.
Bereits heute ist die Übertragung von MPEG 2 – kodierten Fernsehprogrammen beim Satellitenfernsehen Stand der Technik. Mit einer kleinen Flachantenne von ca. 40 cm Kantenlänge und einem Satellitenempfänger für Digitalempfang lassen sich in München oder an der Cote d’Azur zur Zeit etwa 35 digitale deutschsprachige Fernsehprogramme und dazu noch viele digitale Radioprogramme über eine Satellitenposition unverschlüsselt empfangen. Hinzu kommen eine Reihe von verschlüsselten Pay-TV-Angeboten. Bei dieser Übertragung können im Frequenzband eines analogen Programms etwa vier bis acht digitale Programme ausgestrahlt werden. Neben vielen Vorteilen der Digitaltechnik begründet vor allem diese hohe Bandbreiteneffizienz den wirtschaftlichen Erfolg und damit den Durchbruch der digitalen Übertragungstechnik für audiovisuelle Signale. Dieses herausragende Ergebnis jahrzehntelanger intensiver Anstrengungen vieler Forscher und Entwickler soll hier anhand eines Beispiels kurz skizziert werden:
Nach Kotelnikov kann ein Analogsignal mit der Grenzfrequenz W und 2W Abtastwerte repräsentiert werden. Nun braucht man bei der Digitalisierung von Analogsignalen stets eine bestimmte Zahl von Quantisierungsstufen. In vielen Fällen reichen 256 Stufen entsprechend 8 Bit aus. Daraus folgt eine Datenrate von 16W in Bit pro Sekunde. Wie Nachrichtentechniker wissen, erfordert diese Datenrate nach Nyquist bei zweipegeliger Basisbandübertragung einen Übertragungskanal mit einer Grenzfrequenz von mindestens 8W. Ersichtlich liefert diese simple Digitalisierung eines Analogsignals eine Datenrate, zu deren Übertragung die 8fache Übertragungsbandbreite des Analogsignals nötig wäre. Eine in der Regel völlig unbefriedigende Lösung.
Glücklicherweise enthalten Ton- oder Bildsignale jedoch redundante und irrelevante Anteile. Schon 1948 hatte Shannon mit seiner Informationstheorie aufgezeigt, daß datensparende Kodierungen für derartige Quellen existieren. In seiner Nachfolge hat es jahrzehntelang eine Fülle von Arbeiten zur Quellenkodierung gegeben – mit einer Vielzahl von hervorragenden Ideen und praktischen Ergebnissen. Die Entwicklungen und Optimierungen verschiedener Methoden wie Differenzbildkodierungen oder Transformationsverfahren für Bewegtbildsignale stießen jedoch an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und lieferten immer noch unerwünscht hohe Datenraten. Erst Ende der achtziger Jahre erwies sich im Zusammenhang mit den großen Erfolgen der Mikroelektronik ein Vorschlag von Fabio Rocca aus dem Jahr 1969 als besonders fruchtbar. In seinem Beitrag zum Symposium Return Bandwidth Compression (MIT) im April 1969 beschrieb er diesen Vorschlag unter dem Titel: „Television bandwith compression utilizing frame-to-frame correlation and movement compensation“.
Roccas Idee war, bei Bewegtbildsequenzen die Bewegung in Teilbildbereichen zu messen (Bewegungsschätzung) und nur die Differenzsignale zwischen aktuellem Bild und einem bewegungskompensierten vorherigen Bild zu übertragen. Das bewegungskompensierte Bild wird dabei mit Hilfe geschätzter Bewegungsvektoren aus dem bereits übertragenen Bild berechnet. Erst mit diesem Konzept gelang eine entscheidende Steigerung der Kodiereffizienz. So erreichte die Datenkompression für Bewegtbildsignale die heute übliche Leistungsfähigkeit. Die praktische Bedeutung dieser Hybridkodierung entwickelte sich allerdings erst in den letzten Jahren, als mit der Hochintegration komplexe digitale
Schaltkreise und Signalprozessoren verfügbar wurden. Heute wird in aller Welt bei der Bewegtbildkodierung – und selbstverständlich auch bei dem Fersehstandard MPEG-2 – von genau diesem Konzept der Hybridkodierung mit Bewegungskompensation Gebrauch gemacht.
Das Kuratorium der Eduard-Rhein-Stiftung hat deshalb vorgeschlagen, die herausragenden Beiträge von Leonardo Chiariglione und Fabio Rocca zur Schaffung der MPEG-Standards stellvertretend und repräsentativ für die vielen Beiträge anderer Experten mit dem Technologiepreis der Stiftung auszuzeichnen.
Prof. Dr. Broder Wendland. Universität Dortmund